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Sie können sich ein Leben ohne Ihren Partner oder Ihre Partnerin nicht mehr vorstellen. Allein wären Sie niemals mehr in der Lage, glücklich zu sein, denn Sie sind von Ihrem Gegenüber abhängig. Welche Gründe gibt es für die emotionale Abhängigkeit und was können Sie dagegen tun? Wir haben Tipps gesammelt und klären auf!
Josua Leibrich ist Psychologe und nebenberuflicher Autor. Als Einzel- und Paartherapeut arbeitet er mit verhaltens- und schematherapeutischen Methoden in Würzburg. Es ist ihm ein Privileg, Menschen zu einem positiven Selbstverständnis zu führen und gemeinsam innovative Wege zu einzuschlagen. Detaillierte Informationen finden Sie auf seiner Homepage.
Emotionale Abhängigkeit – Bedeutung
Sich ein Leben, ohne den Partner oder die Partnerin nicht vorstellen zu wollen ist das Eine, nicht mehr in der Lage zu sein, selbstständig, außerhalb der Partnerschaft ein normales Leben zu führen, das andere. In der Psychologie spricht man von emotionaler Abhängigkeit, wenn eine Person im übertriebenen Ausmaß von einer anderen Person abhängig ist. Meist ist diese Abhängigkeit einseitig. Die betroffene Person hat große Angst davor, verlassen und allein gelassen zu werden, weswegen sie sich an jeden Funken Hoffnung klammert und sich selbst und ihre Bedürfnisse in den Hintergrund stellt. Das Einzige, was diese Person glücklich machen kann, ist die Liebe, Zuneigung und Nähe des Partners oder der Partnerin.
“Emotionale Abhängigkeit kann aus allgemeiner psychopathologischer Lehre im belastenden Ausmaß einer dependenten Persönlichkeitsstörung gleichkommen. Hier werden nicht nur eigene Bedürfnisse zurückgestellt, sondern ein Mensch gibt auch seine Autonomie oder Kontrolle ab.” – Josua Leibrich
Auf Dauer ist ein solches Verhalten ungesund und belastet extrem die Psyche. Betroffene sind schlichtweg nicht mehr in der Lage, ein selbstständiges, freies Leben zu führen. Auch die Partnerschaft leidet in den meisten Fällen extrem unter solch einem einseitigen Verhältnis. Der oder die Partnerin, die weniger abhängig ist, fühlt sich schnell bedrängt und eingeengt. Das Bewusstsein darüber, dass man selbst für jemand anderen der Lebensmittelpunkt ist, kann eine enorme Belastung sein und die wenigsten kommen mit dieser Verantwortung zurecht. Eine gesunde Beziehung braucht Nähe genauso wie Distanz. Ist die Anhänglichkeit zu groß, fehlt der Raum zum Atmen, was im vielen Fällen dazu führt, dass sich einer von beiden immer weiter zurückzieht.
Gründe für die emotionale Abhängigkeit
Oft lassen sich ganz typische Muster bei Betroffenen erkennen, denn die emotionale Abhängigkeit ist in vielen Fällen auf frühere Ursachen und Schicksale zurückzuführen. Dabei kann der erste Auslöser bereits in der Kindheit zu finden sein.
- Verlustängste – Häufig stehen hinter der emotionalen Abhängigkeit starke Verlustängste, die aufgrund vergangener Erfahrungen entstanden sind. Es kann sich dabei um Kindheitserfahrungen handeln oder auch um Erfahrungen aus früheren Beziehungen. Eine Trennung aus heiterem Himmel, vielleicht sogar direkt am Altar kurz vor der Hochzeit, kann schnell Angst aufkommen lassen, dass sich die Tragödie wiederholen wird. Der Vater, der die Familie verlässt, kann ebenso dazu führen, dass die Kinder im späteren Leben Verlustängste haben.
- Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben – Sie wüssten gar nicht, was Sie allein unternehmen könnten, geschweige denn welche Freunde Sie kontaktieren würden. Ihr Leben fand die letzten Jahre nur in Zweisamkeit statt. Erinnern Sie sich an Ihr Leben zuvor, gibt es nichts, was Sie vermissen. Sie haben keine alleinigen Hobbys oder Interessen, Freundschaften wurden nicht gepflegt und ein Leben außerhalb des gemeinsamen Hauses kommt für Sie nicht in Frage.
- Geringes Selbstwertgefühl – Haben Sie ein geringes Selbstwertgefühl, kann schnell die Angst aufkommen, dass Sie vereinsamen, wenn Sie verlassen werden, da Sie sich einfach nicht als liebenswert empfinden. Für Betroffene scheint es fast ein Wunder zu sein, dass sie Ihren perfekten Partner oder Partnerin gefunden haben. Daran klammern sie sich fest, als wäre es die einzige Chance auf ein glückliches Leben.
“Ich unterstütze die Aussage, dass besonders starke (emotionale) Abhängigkeiten häufig aus der Kindheit/erfahrenen Erziehung kommen, aber auch aus vergangenen Partnerschaften entstehen können. Beispielsweise finden sich u.a. narzisstische/toxische Partner, die ihren Partner in eine Rolle fügen, häufig mit aufopfernden Typen zusammen.” – Josua Leibrich
Bin ich emotional abhängig? – Der Selbsttest
Es ist völlig normal, dass Sie an einer Beziehung und Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin hängen. Es ist auch keine Besonderheit, dass eine Trennung einem den Boden unter den Füßen wegreißt. Doch es gibt Grenzen, die manchmal erst sichtbar werden, wenn sie schon längst überschritten wurden. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Ihr Verhalten auf Dauer ungesund sein könnte, sollten Sie sich diese Fragen unbedingt stellen:
- Zwanghaft selbstloses Verhalten – Ist es das Wichtigste, Ihren Partner oder Ihre Partnerin glücklich zu machen? Vergessen Sie sich selbst und Ihre eigenen Bedürfnisse und haben kein Interesse daran, auf sich selbst zu achten?
- Einseitige Kompromisse – Egal was Sie selbst wollen, Sie richten sich in jeder Situation nach Ihrem Gegenüber. Stellen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse immer in den Hintergrund, egal ob Sie unglücklich sein werden?
- Trennungsangst – Haben Sie panische Angst davor, dass die Beziehung enden könnte? Auch wenn nichts passiert ist, ist die Trennungsangst omnipräsent? Macht Ihnen der Gedanke, ohne den Partner oder die Partnerin zu sein, ständig Angst?
- Angst vorm allein sein – Haben Sie nicht nur Angst, ohne Ihren Partner oder Ihrer Partnerin zu sein, sondern sogar große Angst zu vereinsamen? Ist er oder sie mal nicht da, werden Sie traurig und unzufrieden und wissen nichts mit sich anzufangen?
- Hilfslosigkeit – Sie haben keine Ahnung, wie Sie aus dieser Gefühlslage herauskommen sollen, obwohl Sie wissen, dass Sie emotional abhängig sind? Ein Ausweg scheint nicht in Sicht?
“Es gibt diverse Reaktionen, auch im spezifischen Zusammenhang mit emotionaler Abhängigkeit: Komplimente werden hinterfragt, man benötigt ständige Rückmeldungen, man fühlt sich nie gut genug, Paranoia der Partner könnte mich betrügen/verlassen, ständiges Abstecken von gemeinsamen Zukunftszielen, Angst was falsch zu machen und daher sich nicht selbst zu offenbaren oder gar zu verstellen, um ein „Traumpartner“ zu sein.” – Josua Leibrich
Emotionale Abhängigkeit überwinden – 5 Tipps
Die Erkenntnis über die eigene emotionale Abhängigkeit ist die erste große Hürde, die es zu meistern gibt. In manchen Fällen wollen sich Betroffene jahrelang nicht eingestehen, dass sie sich zu stark abhängig gemacht haben. Wurde das Problem jedoch erkannt, heißt es im nächsten Schritt, sich etwas zu lösen und sich selbst wieder zu finden.
“Ich unterstütze die Impulse, mehr auf sich zu achten. Ich würde gleichermaßen betonen, sich aus der Komfortzone zu trauen – nur anders herum gedacht – sich unabhängig machen. Denn das ist essenziell für eine funktionierende Beziehung.” – Josua Leibrich
Einfacher gesagt als getan. Deshalb haben wir 5 Tipps gesammelt, um die emotionale Abhängigkeit zu lösen.
- Selbstfindung – Finden Sie zu sich selbst zurück. Wer sind Sie oder waren Sie ohne Ihren Partner oder Ihre Partnerin? Was ist Ihnen im Leben eigentlich wichtig? Was sind Ihre Stärken? Was wollten Sie schon lange einmal tun? Versuchen Sie Antworten auf diese Fragen zu finden und erkennen Sie Ihren Wert auch ohne die Beziehung.
- Selbstliebe – Um jemanden anderen auf eine gesunde Art und Weise lieben zu können, müssen Sie sich vorerst selbst lieben. Sie sind gut so, wie Sie sind. Sie dürfen Fehler machen. Seien Sie nicht zu hart sich selbst. Auch Sie haben Liebe und Freude verdient.
- Zeit mit sich selbst – Entscheiden Sie sich bewusst dazu, alleine zu sein. Beweisen Sie sich, dass Sie mit sich selbst Zeit verbringen können und nicht auf andere Personen angewiesen sind.
- Freunde und Familie – Wenden Sie sich an Freunde und Familie. Haben Sie sich nur auf die eine Person fokussiert, werden schnell andere Menschen vernachlässigt, die Ihnen eigentlich wichtig sind. Zeigen Sie sich selbst und Ihren Liebsten, dass es noch andere Menschen gibt. So können Sie sich ablenken und erkennen, dass das Leben mehr zu bieten hat.
- Therapie – Haben Sie das Gefühl, dass Sie alleine keinen Ausweg mehr finden, kann eine Therapie ein Ausweg sein. Das muss nicht die letzte Maßnahme sein. Meist ist es hilfreich, mit jemanden über seine Sorgen und Ängste zu sprechen. Der/Die Therapeut/in kann weitere für Sie spezielle Lösungsansätze liefern, sodass es Ihnen selbst und Ihrer Beziehung schnell besser geht.
Fazit: Mit Selbstliebe sich unabhängig machen
Sie müssen erst zu sich selbst finden, sich Ihre Stärken bewusst machen, Mut zu sprechen und sich selbst so viel zutrauen, dass Sie überzeugt sind, ein Leben auch allein meistern zu können. Dieser Prozess kostet Kraft und Energie, doch Sie sind in der Lage, sich zu befreien, sich loszulösen von der Angst der Einsamkeit. Beherzigen Sie unsere Tipps und lassen Sie Hilfe zu, dann können Sie die Abhängigkeit überwinden.
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